Es ist einer dieser Momente, die wir Individual-Reisende suchen und doch nie wissen, wann genau sie passieren. Aber wenn sie dann kommen, sind sie umso schöner. Eben weil sie nicht zu 100% planbar sind und weil uns manchmal ganz unvermittelt klar wird, wie schön dieser Weg ist, den wir eingeschlagen haben. Dieses Leben, das wir leben dürfen und wollen.

Ich stehe vor einem wunderschönen Bergtempel mit grandiosem Blick. Vor mir erstrecken sich scheinbar endlose grüne Gebirgsketten, aus der ab und an eine Pagode herausschaut. Ein paar Wolken ziehen über die Wälder, ein Vogel kreist über mir, und in der Tempel-Herberge da hinten kann ich für wenig Geld übernachten. Die netten Nonnen von hier haben mir das eben angeboten. Ich fühle mich zuhause. Ganz weit weg von allem. Es ist so unglaublich ruhig hier. Ich wollte unbedingt hierhin. Ich hatte über diesen Ort gelesen, aber dass er so schön ist, hatte ich nicht erwartet. Und das Verrückte: Ich bin gefühlt auf einem anderen Planeten, aber nur eine kurze Wanderung, eine Stunde Busfahrt und weniger als 60 Minuten in einem der modernsten Züge der Welt entfernt pulsiert einer der aufregendsten Metropolen Asiens.
Diese Metropole heißt Taipeh. Und sowohl in dem Moment gestern Abend, als ich in ihren wuseligen Straßen zwischen Stadttempel und Garküche stand und irgendetwas aß, was ich noch nie gegessen hatte – als auch jetzt, in dieser märchenhaften Szenerie, denke ich denselben Satz: Taiwan, du hast mich überrascht und umarmt. Auf kleinstem Raum schenkst du mir alles, was ich von einer Asien-Reise will und noch mehr. Kulinarische Höhenflüge von Fine-Dining-Küche bis zu günstigem aber hochwertigem Streetfood, das manchmal sogar trotz aller Bodenständigkeit mit Sternen ausgezeichnet wird. Maximale landschaftliche Vielfalt auf einer kompakten Insel mit zwischen über 4000 Meter hohen Bergen, Traumstränden und Metropolen. Sicheres Reisen für alle, eine Infrastruktur aus der Zukunft und vor allem: weltoffene, liebevolle Menschen. Wie sagte ich neulich zu einem Freund, dem ich eine Nachricht schickte von hier: „Es ist eine Art Best Of Japan, China und Südostasien plus ganz viel Sonne, Offenheit, Abenteuer und…“ Taiwan eben. Ein Land, das für selbst mich als Reise-Profi eine der Überraschungen der letzten Jahre ist. Aber bevor ich – und die Gefahr besteht als Podcaster permanent – ins Labern gerate :), hier ein meine Highlights und Reise-Infos für etwas, was ich mit diesem Trip testen wollte, und das, wie ich jetzt weiß, zu 100% möglich ist: eine Individual-Reise durch Taiwan
Die Infrastruktur
Das Wort klingt so unromantisch: Infrastruktur. Aber sie ist tatsächlich eine der ganz großen Qualitäten von Taiwan. Dank seines hochmodernen Verkehrsnetzes ist dieses Land maximal leicht, schnell und verlässlich zu bereisen. Allem voran besticht die High Speed Rail im Westen der Insel. Im Stile der japanischen Shinkansen jagen die Züge mit bis zu 300 km/h durch das Land und machen so gut wie jedes Ziel innerhalb weniger Stunden erreichbar. Egal ob es nach Taipeh, Taichung (z. Bsp. auf dem Weg zum Sun Moon Lake), Taoyuan (z. Bsp. auf dem Weg in den Tiefen Süden) oder Chiayi, das unter anderem den Start der legendären, historischen Züge zum Alishan-Gebirge markiert – alles geht schnell, luxuriös, einfach. Übrigens: Stichwort Alishan-Zug: Versucht unbedingt, ein Ticket dafür zu bekommen. Die Fahrt ist legendär und geht dich mehrere Vegetationszonen und kürzester Zeit. Aber selbst wenn der Zug voll ist: Auch diese Strecken fahren – wie so oft in Taiwan – die sehr überzeugenden Tourist-Shuttles.
Tickets für alle Verkehrsmittel sind selbst kurz vor Fahrtantritt noch zu erwerben. Oft bezahlbar mit der Easy Card, die Allzweckwaffe zur Bezahlung in Taiwan – von Supermärkten bis zu Bus-Tickets. Und auch High Speed Rail Tickets sind für Touristen aufgrund des englischsprachigen Personals völlig problemlos bis Minuten vor Zugabfahrt erhältlich – inklusive Sitzplatzreservierung. Zusätzlich machen die hohe Taktung der Züge sowie eine extreme Verlässlichkeit das individuelle Reisen einfach, flexibel, schnell und komfortabel – noch dazu zu erschwinglichen Preisen. Abseits der High Speed Rail greifen gute und verlässliche Nahverkehrsnetze mit Bus und Bahn (wie die MRT in Taipeh), und machen selbst abgelegene Regionen erreichbar.
Extreme Vielseitigkeit auf kleinstem Raum
Taiwans Hauptinsel ist gerade mal so groß wie die Niederlande oder Baden-Würtemberg. Aber sie besticht mit einer maximalen Vielfältigkeit an Landschaften und Eindrücken. Will sagen: In zwei bis drei Wochen könnt ihr hier eine kleine, bequeme Weltreise machen. Von unberührten Traumstränden im Kenting-Nationalpark über märchenhafte Gebirgsketten wie Alishan, mit über 4000 Meter hohen Gipfeln, bis hin zum legendär schönen Sun Moon Lake – alles ist binnen weniger Stunden zu erreichen. Selbst von einer Metropole wie Taipeh in den tiefen Süden – zum Beispiel zu der beeindruckenden Tempel-Anlage Fo Guang Shan – ist man nie länger als einen halben Tag unterwegs. Taiwans leicht zu entdeckende Vielfalt ist beispiellos in Asien. So kann es schonmal sein, dass man einen blühenden Kirschbaum, einen Nadelbaum, eine Palme und einen Bambushain nicht nur an einem Tag sieht, sondern auf einen Blick.
Kulinarische Höhenflüge
Taiwans bewegte Geschichte, seine Einflüsse aus China, Japan und anderen Ecken der Welt gepaart mit viel eigenem Charakter und einem liebenswerten Hang zum Perfektionismus führen zu kulinarischen Höhenflügen in Dimensionen, die selbst in Asien mehr als selten sind. Von einer großen und weltbekannten Fine-Dining-Szene (immer mehr renommierte Küchenchefs eröffnen Restaurants in Taipeh – wie zum Beispiel der Deutsche Thomas Bühner das phantastische La Vie) bis zu den einfachen aber brillanten Ständen auf den legendären Nachtmärkten ist für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas dabei. Beef Noodle Soup, Stinky Tofu, phantastische Gua Bao, Taiwanesische Pfannkuchen… Die Liste ist der Highlights ist lang, und selbst dieses Streefood und sogar Eisdielen (wie das ‚Minimal‘ in Taichung) werden immer wieder mit Michelin-Sternen ausgezeichnet. Übrigens: Der weltweite erfolgreiche Bubble Tea wurde in Taichung erfunden, im Restaurant Chun Shui Tang. Kurz gesagt: Japans Finesse, Chinas Vielseitigkeit und der ganz eigene Taiwan-Twist sorgen für eine schier endlose Palette an Essens-Erlebnissen.


Sicherheit
Taiwan ist ein extrem sicheres Reiseland. Eine verschwindend kleine Kriminalitätsrate sorgt selbst für Erstbesucher in pulsierenden Metropolen wie Taipeh oder Taichung für das durchweg gute Gefühl des safen Unterwegs-Seins. Zudem sind in Taiwan dank seiner gelebten Demokratie, Toleranz und Meinungsfreiheit alle Menschen gleichermaßen willkommen – egal welcher Gesinnung, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Zelebriert wird dies auch mit Festivals wie der Taiwan Gay Pride. „Taiwan“ steht für „Toleranz“. Einem Reise-Abenteuer ohne Bedenken für ALLE steht nichts im Wege.
Drehkreuz in ganz Asien
Taiwan ist ein Tor zu ganz Asien. Mit seiner zentralen Lage, zwei mehrfach prämierten Fluglinien und seiner Vernetzung innerhalb des gesamten Kontinents, ist vor allem Taipei ein Drehkreuz für die Region. Egal ob Bangkok, Hanoi, Shanghai, Tokyo oder gar Australien und Neuseeland – Taiwan bietet mehr als eine Verbindung zu all diesen Orten – und ist daher ideal für eine Reise dorthin. Übrigens: Wenn irgendwie möglich, baut ein paar Tage Aufenthalt in Taipeh mit ein. Schon eine Nacht lohnt sich, und mit dem einfachen Transport vom Flughafen in die Stadt dank der MRT, ist das ganze auch denkbar unkompliziert.
Outdoor-Paradies
Allein der Sonne-Mond-See mit seinen Wanderrouten, malerischen Pagoden, Tempeln und einer der offiziell schönsten Radstrecken der Welt, ist ein Gedicht. Und ja, diese Gegend ist tatsächlich so schön wie alle sagen. Allein der Blick von der Ci’en Pagode auf einem Hügel über den See ist legendär. Oder die Gebirgsregion Alishan mit ihren endlosen Wäldern hinreißenden, historischen Bahnstrecken und den kleinen Ortschaften drumherum, wo die Uhr definitiv noch anders tickt als in einer Großstadt – die perfekte Mischung aus Beschaulichkeit und monumentalen Ausblicken. Oder auch die unbekannteren Gebiete in den Bergen (wie der Quanhua Tempel, von dem ich ganz am Anfang erzählte) oder die Ost-Küste mit ihren teils mehrtägigen Hiking-Routen und Regionen abseits der Tourismus-Ströme: Taiwan ist ein Paradies für Aktivurlauber. Praktisch überall gibt es gut ausgebaute Rad- und Wanderwege für alle Schwierigkeits-Grade und mit extrem abwechslungsreichen Routen.

Metropole Taipeh
Eine Stadt als perfekte Melange aus dem alten und dem neuen Asien: enge, wuselige Gässchen wie die Dihua Street mit funkelnden Stadt-Tempeln wie dem Longshan Tempel treffen auf die modernste Version einer Großstadt, die man sich vorstellen kann. Vom legendären Taipei 101-Tower (der einst höchste und für mich immer noch schönste Wolkenkratzer der Welt) über monumentale Plätze wie dem Liberty Square (samt der Chiang Kai-shek-Gedächstnishalle, dem Nationaltheater und der Nationalen Konzerthalle) bis zu den unschätzbar wertvollen Kulturschätzen im Nationalen Palastmuseum. Von spannenden Kunst-Vierteln bis zu putzigen Flohmärkten und kleinen Gässchen, die wirken wie eine Reise in die Vergangenheit. Alles verziert mit einer Kulinarik wie von einem anderen Stern, wie im legendären Dumping-Restaurant Din Tai Fung. Auch Ausflüge zu den Highlights der Umgebung sind einfach, dank eines flächendeckenden Nahverkehrsnetzes. Taipei bietet alles, was man von einer Metropole will.

Hotel-Träume
Ich habe wirklich alle Extreme erlebt in nur wenigen Tagen: Luxuriöse Thermalbädern tief in den Bergen (das Hoshinoya Guguan ist ein gelebter Hotel-Traum aus Architektur, Natur und Kulinarik). Oder der allerbeste Blick auf den Sonne-Mond-See im Fleur de Chine Hotel (samt epochalem Dinner). Oder das höchste Hotel Taiwans (das Indigo-Hotel nahe Alishan, auf rund 2000 Meter Höhe samt mega Rooftop-Bar). Oder (das andere Extrem der Schönheit) die spartanische, herzliche, günstige Tempel-Bleibe in der Pilgrim’s Lodge in Fo Guan Shan: Taiwan bietet alle Facetten an Unterkünften. Zwischen Bodenständigkeit und vegetarischem Fasten-Essen bis hin zu absolutem Luxus und stilvollem Keiseki-Dinner gepaart mit japanischer Onsen-Kultur der Spitzenklasse.

Von Taiwan in die Welt
Seien es die Wurzeln des Bubble Teas, der von Taichung aus die gesamte Welt eroberte. Oder die atemberaubende Schönheit des Bergdorfes Jiufen, das mit seinen Teehäusern, Laternen und seiner Traum-Lage Künstler wie Hayao Miyazaki inspiriert hat. Das knallbunte Trend-Viertel Ximending, das Tokyos Shibuya in nichts nachsteht, der ikonische Blick vom Elephant Mountain in Taipeh oder das ebenso kunterbunte wie bewegende Rainbow Village in Taichung. Taiwans Ideen, Kultur und seine Schönheit haben die ganze Welt erobert – und werden individuellen Reisenden wie uns immer wieder Herzklopfen bescheren.

Und last bit definetely not least: Die Menschen
Sie sind neben all den Eindrücken definitiv das, was am tiefsten in meinem Herzen bleiben wird. Die Achtsamkeit Japans, der Pragmatismus Chinas und vor allem die Sonne Taiwans prägen die Mentalität eines Volkes, das ich nicht vergessen werde. Selbst als Individual-Reisender, der kein chinesisch kann, habe ich nie lange nach Hilfe suchen müssen. Im Gegenteil. Selten habe ich eine derart offene, flexible und von Vielseitigkeit geprägte Gesellschaft erlebt und so viele nette Bekanntschaften gemacht. Noch dazu an einem inem Ort, der auch immer wieder Räume bietet für Subkultur, junge Gedanken und freie Entfaltung. Auch das macht Taiwan zu einem einmaligen Ziel in Ostasien.
Vorschlag Reiseroute Taiwan
3 Tage Taipei
1 Tag Jiufen
5-7 Tage Westküste inklusive Alishan, Sun Moon Lake, Taichung, ein Tempel-Aufenthalt oder Wandern
5-7 Tage Ostküste inklusive Slow-Travel, Off the Beaten Track, Begegnung mit den indigenen Kulturen Taiwans, ggf. Übernachtung auf einer der kleinen Inseln an der Küste.
Über den Gastautor
Jochen Schliemann ist eine Hälfte vom größten Reise-Podcast im deutschsprachigen Raum: „Reisen Reisen – der Podcast“. Zusammen mit seinem Co-Host Michael Dietz veröffentlichte er seit 2018 zweiwöchentlich bisher über 200 Episoden zu Reise-Destinationen, -Philosophie und -Themen für eine stetig wachsende Community. Das Buch zum Podcast („Reisen Reisen – Wie wir die Welt entdecken wollen“) landete auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Auf seiner ausverkauften Deutschland-Tournee trat das Duo zuletzt unter anderem live in der Kölner Volksbühne vor rund 450 Menschen auf.
Im Februar 2025 reiste Jochen Schliemann erstmals für längere Zeit durch Taiwan und kam so begeistert zurück, dass er seine Erlebnisse und Erfahrungen in gleich zwei Podcast-Episoden verarbeitete. Die erste Folge zum Thema „Taipeh“ kann man hier hören.
